Wie beschreibt man einen weiteren Glücksmoment in wenigen Worten ? “…Ich könnte die ganze Welt umarmen…”
Das habe ich gedacht als ich am 15.05.2021 nach einer fast 4-stündigen Not-OP wieder erwachte….was war passiert ?
“Glück macht Mut.”
Johann Wolfgang von Goethe – Deutscher Dichter und Naturforscher
Stress der sich über die Jahre aufgebaut hatte, getriggert durch den Job (und späteren Verlust), die ganzen Vorfälle seit 2015 und der Diagnose in 2018 hatte sich seinen Weg in meinen Körper gebahnt.
Anmerkung: das war KEINE die Nebenwirkung durch die Chemo, das hatte sich über Jahre aufgebaut!
Aber nun step by step. Infusionen fanden alle 2 Wochen statt, geplant waren ja 6-8 Infusionen. In einer Pause zwischen der 2ten und 3ten Infusionen entwickelten sich im rechten Unterleib immer stärker werdende Schmerzen. Wie wir Männer so sind, habe ich nach Rücksprache mit meinem Urologen auf spezielle Schmerzmittel zurückgegriffen, die bei Tumor Erkrankungen und deren Behandlung gang und gebe sind. Doch diese wirkten nur kurzzeitig und an durchschlafen war nicht zu denken.
Somit riefen wir einen Notarzt aber der konnte ersteinmal nichts konkretes feststellen. Es wurde eine spezielle Schmerzspritze verabreicht und ich bekam eine deutliche Ansage: wenn es am nächsten Tag keine spürbare Verbesserung gibt soll ich mich in das Klinikum zu einem gründlichen Check begeben.
Am nächsten Tag, Tag X, konnte ich mich nur noch in “Schonhaltung” bewegen. An stehen, liegen oder sitzen war nicht zu denken. Dann tat ich etwas, was man eigentlich nicht tun sollte: ich “konsultierte” das Internet und fand nach langem suchen ein Symptom, das ich so nicht kannte. “Ein in den rechten Oberarm strahlender Schmerz”!
“Wir bitten nicht um Glück, nur ein bisschen weniger Schmerz.”
Charles Bukowski – deutschamerikanischer Dichter und Autor
14:00 – Meine liebe Frau packte mir den Koffer und ich rief den Krankenwagen. Da ich keine “wirklichen Notfälle” blockieren wollte, zurückhaltend wie ich bin, habe ich den Dienst über Krankenkassen genutzt. Das Ausmaß meiner Fehleinschätzung sollte sich erst später zeigen.
15:00 – kamen dann 2 Sanitäter und es ging Richtung Klinikum Nord. Während der Fahrt wurden schon Daten aufgenommen die die Aufnahme im Klinikum wesentlich beschleunigte.
15:30 – 18:30 aufgrund des PCA wurde ich zuerst durch die Urologie geschleust, dann durch die Innere, danach die Gastroenterologie…erste Ergebnisse zeigten nichts Auffälliges, nur dass einige “Entzündungswerte” doch wesentlich erhöht seien.
18:30 – Das war für das Ärzte Team aber kein Grund für Entwarnung und so ging es in die 4te Station – in die Chirurgie zum MRT. Der MRT selber ist mir ja seit 2018 bestens vertraut, also hatte ich da keine Berührungs ängste.
20:30 – Bedenke dass das Kontrastmittel erst die entsprechenden Körperregion erreichen muss. Dieses wird bei einem Standard MRT vor Beginn oral verabreicht – also immer in kleinen Schlücken getrunken über den Zeitraum von 30-60min. Erst vor dem eigentlichen Verfahren bekommt man dann noch eine Infusion mit Kontrastmittel.
21:30 – ich wurde auf die “check-out” Station geschoben, ca. 8 nur durch Plastikvorhänge getrennte Bereiche. Man konnte die Gesprächsfetzen anderer Patienten hören. Meistens wurde nur gejammert, was mich sehr belastet hat. quote: “das Internet hier so langsam und teuer” unquote, quote: “ich muss jetzt rauchen sonst geht mein Blutdruck hoch” unquote…usw.
ca. 22:xx – 2 Ärzte kamen zu mir, stellten sich vor – dieser Teil ist für mich bis heute immer noch traumatisch – einer der Ärzte nahm seinen Stift, schob damit mein T-Shirt hoch und tippte auf meinen Unterbauch: “Hr. Richter, da ist etwas drin was da nicht hingehört”! Nachdenklich fragte ich: “Aha, was denn genau?” Der Arzt: “Wir wissen es nicht, das MRT hat aber gezeigt, das es ernst ist”. Ich entgegnete: “Man hat mir gesagt, dass einige Entzündungswerte erhöht seien! Mehr nicht!” Der Arzt: “Wenn wir jetzt nicht operieren haben Sie vielleicht nur noch ein paar Stunden!” Das war der nächste Schock! “WARUM SCHON WIEDER?” Ich rief meine Frau an, sie zögerte nicht lange und sagte: “Lass dich operieren!”.
ca. 23:xx – ich hatte alle notwendigen OP Dokumente unterschrieben, wurde auf die Station 20-1 links gebracht und angewiesen mich auf die OP vorzubereiten. Dabei hatte ich – wieder einmal – den Standard Klinik Umhang verkehrt herum angezogen.
ca. 23:3x – ich wurde per Lift, durch Tunnel in den Vorbereitungsraum gefahren. Ein kurzer Chat – wie an jeder Station wurde Name und Geburtsdatum erfasst . Dann wurde mir schon die Infusion gelegt. Aufgrund meiner 2-jährigen Berlin Zeit fragte der Anesthäsist: “sind sie Berliner.” “Nein”, erwiderte ich, “2 Jahre da gelebt.” dann nach ca. 2-3 min war ich auch schon “weg”. ..Adieu!
“Glück gehabt…schon wieder … “
StS
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15.05.2021
ca. 03.xx Aufwachraum: ich fühlte mich benommen, aber sehr glücklich zu leben…ein kurzer Smalltalk mit der MTA ergab, das sie auch in Zabo wohnt , da wo wir auch wohnen, ein Lächeln beiderseits… Dann wurde ich auf die Station 20-1 links gebracht, ein kurzes OK an meine liebe Frau und durfte schlafen….Licht aus…..
06:30 – ein freundliches “Hallo und Guten Morgen Hr. Richter”, kam mir im Halbschlaf entgegen.Eine Schwester, sehr nett und höflich fragte mich wie es “mir geht” Zu diesem Zeitpunkt kannte ich den medizinischen Begriff “Situations adequat” noch nicht. Also meinte ich: “Ich habe Schmerzen, aber ich lebe…!!!” Sie fragte mich ob ich mit ihrer Hilfe aufstehen möchte, was ich sofort klar bejahte. Sie stützte mich, denn die Schmerzen waren vergleichbar mit denen aus dem Koma Jahr 2015 wesentlich intensiver.
06:4x – ich stand mit der Schwester vor dem Fenster, noch schwach in den Beinen aber “klar im Kopf” und meinte: “Ich möchte die ganze Welt umarmen….”, denn genau so fühlte ich mich…
DAS WAR MEIN 3rd Birthday!!!!!
08:xx – Visite: Plötzlich stand der Chirurg vor mir. Es war der Chirurg, der mir so professionell und menschlich die Diagnose überbracht hatte, der mich operierte, also der mir das Leben gerettet hatte! Ich brach in Tränen aus, auch heute immer noch wenn ich an ihn denke. Dr. Milan Böhm. Er erklärte mir genau, was da “kaputt” war und was er “gefixt” hatte. Es war ein 2mm grosses Loch im Magenausgang, (Pförtner) da war Magensaft (Säure) ausgetreten und hatte schon das Bauchfell (die Tapete innerhalb eines Zimmers) angegriffen.
Es war wirklich 5vor12 gewesen meinte er, mein Bauchfell war dermaßen entzündet das wohl in der Nacht einige wichtige Organe den Dienst versagt hätten!
Was soll man dazu sagen…ich habe mir für die 2 Wochen Station jeden Namen, jede Bewegung notiert und mit einer grossen DANKE Karte (mit++) versehen. Diese Jobs sind nicht adequate anerkannt und entsprechend bezahlt!!!
Nachdem ich wieder zu Hause war, ist noch ca. 6 Wochen der Pflegedienst der Zabo Diakonie gekommen, um die Wunde täglich zu versorgen. Auch diesen Menschen gilt mein tiefster Dank!
Am 06.Juli, nach 8 Wochen Zwangspause, wurde die Chemotherapie fortgesetzt und am 19.Oktober mit der 8ten und letzten Infusion beendet.